Wien, 27.4.2022
MEDIENINFORMATION
Sofort und Dauerhaft!
Regierung und Parlament könnten in wenigen Wochen die Not Tausender lindern, indem sie das Arbeitslosengeld erhöhen.
Bericht von der Pressekonferenz der Volksbegehrensinitiative „Arbeitslosengeld Rauf!“ in Wien.
Vom 2. Mai bis einschließlich 9. Mai 2022 findet die Eintragungswoche des Volksbegehrens Arbeitslosengeld Rauf statt. In dieser Zeit kann das Volksbegehren auf allen Gemeinde- und Bezirksämtern und auch Online unterstützt werden. Das Volksbegehren Arbeitslosengeld Rauf wird von über 200 Proponent*innen aus Gewerkschaften und verschiedensten sozialen und gesellschaftspolitischen Initiativen getragen, darunter viele Sozialwissenschafter*innen und Kulturschaffende.
Gefordert wird die Anhebung der Nettoersatzrate für die Bemessung der Höhe des Arbeitslosengeldes sofort und dauerhaft auf zumindest 70% des letzten Einkommens und eine Entschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen.
Eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf mindestens 70% des letzten Nettoverdiensts würde, wie eine Studie der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigt, die Zahl Armutsgefährdeter in Österreich um 37.300 Personen reduzieren, durch eine Stärkung der Verhandlungsmacht von Arbeitnehmer*innen höhere Löhne fördern und bis zu 14.000 neue Jobs schaffen. Durch ein existenzsicherndes Arbeitslosengeld würde die soziale Absicherung von Arbeitsnehmer*innen gestärkt.
Die Initiative wendet sich mit der Forderung nach einer sofortigen und dauerhaften Erhöhung des Arbeitslosengeldes explizit gegen die Pläne der Regierung, ein degressives Arbeitslosengeldmodell in Österreich einzuführen, mit dem das Arbeitslosengeld mit der Länge der Arbeitslosigkeit immer weiter absinkt. Reform bedeutet, den Sozialstaat zu stärken und nicht diesen weiter auszuhöhlen.
Karin Stanger, Bundessprecherin der AUGE-UG und AK-Rätin in Wien nahm direkt Bezug auf die aktuelle Diskussion um die Teuerungswelle, die vor allem Arme besonders trifft: „Eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf zumindest 70% und ein Aussetzen der Bezugssperren könnte sofort von Regierung und Parlament beschlossen werden. Das wäre eine effektive Maßnahme gegen die Belastung armer Haushalte durch die Teuerungswelle. Freilich müssen noch andere folgen.“
Hans-Karl Schaller, Konzernbetriebsratsvorsitzender der Voest-Alpine und Landesvorsitzender der PROGE – OÖ, unterstrich, dass Arbeitslosigkeit ein Risiko ist, dass alle Arbeiter*innen betrifft. Jederzeit können Ereignisse passieren, die Hunderttausende arbeitslos machen. „Alle die meinen, Arbeitslosen ginge es zu gut, sollen hineinschauen, wie hoch ihr Risiko ist, selbst den Job zu verlieren! Und dann? Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung der ArbeitnehmerInnen und keine von der Politik gewährte Entschädigung! Daher ist eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf ein armutsfestes Niveau unser Recht!“
Jörg Flecker, Soziologe an der Uni Wien, betonte die verteilungspolitische Wirkung eines niedrigen Arbeitslosengeldes: „Die Forderung nach einer Absenkung des Arbeitslosengeldes auf 40 Prozent des Letztbezugs ist insofern auch Interessenspolitik, als man vermeiden will, etwas an zu niedriger Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen zu ändern, um Personal für problematische Arbeitsplätze zu bekommen. Finanzieller Zwang soll dazu dienen, diese Zustände aufrechterhalten zu können. Armut – fast drei Viertel der Langzeitarbeitslosen sein armutsgefährdet – wird bewusst verschärft, um eigene Ziele zu erreichen.“
Die Armutsaktivistin, Daniela Brodesser, schilderte, was Armut konkret bedeutet: „Ein niedriges Arbeitslosengeld – oder gar ein degressives – bedeutet, täglich mit existenziellen Sorgen aufzuwachen. Bedeutet, nicht zu wissen, wie Notwendiges ersetzt werden kann. Es bedeutet aber auch, ständig Beschämungen ausgesetzt und mit Vorurteilen konfrontiert zu sein und sich rechtfertigen zu müssen.“
Josef Stingl, Mitglied des ÖGB Bundesvorstands und stellvertretender Vorsitzender des ÖGB erklärte, dass die Forderung nach Erhöhung des Arbeitslosengeldes mit der Erhöhung der Mindestlöhne mindestens im Ausmaß der Teuerung verbunden werden müsse.
Der Drehbuchautor und Regisseur, Harald Sicheritz, musste krankheitsbedingt leider kurzfristig absagen. In einer schriftlichen Botschaft versicherte er uns: „Ich unterstütze das Volksbegehren „Arbeitslosengeld rauf“, weil an der sozialen Basis unserer Gesellschaft nur dauerhaft geplante Maßnahmen auch dauerhaft wirksam sein können. Soziale Gerechtigkeit für erwerbsarbeitslose Menschen umsetzen bedeutet sozialen Frieden schaffen.“
Norbert Bauer, Zustellungsbevollmächtigter des Volksbegehrens und Gewerkschafter der FCG, unterstrich nochmals, dass diese „sinnvolle sozial- und wirtschaftspolitische Forderung mit einem einfachen Gesetzesbeschluss“ sofort umgesetzt werden kann.
Presseaussendung 30. März 2022
„Schon mal mit der Hälfte deines Einkommens und 20% Lebenskostensteigerungen gelebt?“
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Wien, 5.3.2022
Medieninformation
Enquete des Arbeitsministers lässt Sozialstaatsbefürworter*innen nicht zu Wort kommen
Am Montag (7.3.2022) lädt Arbeitsminister Kocher zur Enquete um sein präferiertes Modell der Arbeitslosenversicherung zu präsentieren. Er will sich an Dänemark orientieren: Ein Modell, das sich durch eine freiwillige, privat finanzierte Arbeitslosenversicherung, fehlenden Berufsschutz und einen hoch flexiblen Arbeitsmarkt auszeichnet.
Die Pflichtversicherung gegen das wirtschaftliche Risiko der Arbeitslosigkeit ist eine zentrale Säule des österreichischen Sozialstaats. Obschon die Leistungen oft nicht existenzsichernd sind, hat die COVID19-Pandemie gezeigt, wie wichtig sie als Stabilisator in der Krise sind. Eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer Oberösterreich untermauert dies: Sie zeigt, dass durch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70% rund 37.300 Menschen vor Armut geschützt wären und durch einen höheren Konsum 14.000 neue Jobs geschaffen würden.
Die Proponent*innen des Volksbegehrens „Arbeitslosengeld Rauf“, das von 2. bis 9. Mai 2022 zur Eintragung aufliegt, treten in diesem Sinn für einen Ausbau des bewährten System der Arbeitslosengversicherung durch eine Erhöhung der Nettoersatzrate auch 70% und eine Stärkung des Sozialstaats ein.
Doch diese Stimmen werden bei der Enquete vermutlich nicht gehört. Denn ein Blick auf die Liste der geladenen Experten (es sind ausschließlich Männer) zeigt: Vertreten sind ausschließlich jene Experten, die eine Einschränkung sozialstaatlicher Leistungen befürworten. Reizworte sind „Beschäftigungs- und Arbeitsanreize schaffen“ ( Andreas Peichl, IFO) und „kein Freibrief für den Bezug von Leistungen“ (Bernd Fitzenberger, IAB).
Der hier geführte Diskurs über Arbeitslose geht an dem Problem der Arbeitslosigkeit vorbei. Verhandelt wird nicht über das wirtschaftliche Risiko von Arbeitnehmerinnen und wie dieses abgesichert werden kann, sondern über „persönliche Defizit“ der Betroffenen. Implizit wird damit unterstellt, dass Menschen freiwillig erwerbsarbeitslos sind und durch Druck dazu gebracht werden müssen, Arbeit anzunehmen. Eine fundamentale Fehlannahme, die nur dazu dient, die von Arbeitnehmer*innen erstrittenen Rechte zu untergraben und das System sozialer Sicherheiten auszuhöhlen. Der Druck auf Arbeitslose schafft keine Arbeitsplätze und keine Erwerbsarbeit, von der die Menschen leben können.
Stimmen des Volksbegehrens „Arbeitslosengeld rauf!“
Wir hoffen daher bei der Enquete auf eine offene Diskussion auf Augenhöhe, der die Position der Expert*innen, die sich für eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes und eine Stärkung sozialstaatlicher Sicherungssysteme aussprechen, einbezieht. Die Stimmen der Proponent*innen des Volksbegehrens Arbeitslosengeld Rauf, zeigen, dass es davon viele gibt:
„Menschen, die ohnehin schon ökonomisch benachteiligt waren, haben bisher den Großteil der Lasten der pandemiebedingten Krise getragen. Für die betroffenen Menschen und für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft wäre es höchst problematisch, wenn jetzt ausgerechnet wieder bei diesen Menschen gespart wird.“ (Barbara Prainsack, Univ.-Prof. Dr. für Politikwissenschaft).
„Die Coronakrise unterstreicht, wie unverzichtbar der österreichische Sozialstaat für unsere Gesellschaft ist. Angesichts der damit verbundenen prekären Arbeitsmarktsituation zeigt sich dabei insbesondere die Wichtigkeit der materiellen Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit. Zugleich wird aber auch deren Reformbedürftigkeit offenkundig, denn die bestehende Arbeitslosenversicherung ist für viele Betroffene nicht ausreichend. Ein Volksbegehren könnte Anstoß zu einschlägigen Reformen sein.“ (Emmerich Talos, em. Univ.-Prof. für Politikwissenschaft)
„Gemessen am allgemeinen Wohlstand ist die Unterstützung arbeitsloser Menschen in Österreich eine der niedrigsten in der EU. Das bedeutet: Wer seinen Job verliert, verliert fast die Hälfte seines Einkommens, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben muss massiv eingeschränkt werden. Davon sind Kinder besonders betroffen. Je länger dieser Zustand anhält, desto mehr werden Selbstwertgefühl und Zuversicht beschädigt. Gleichzeitig wird auch die Wirtschaft durch das Sinken der Kaufkraft geschwächt. Die nötige Erhöhung des Arbeitslosengeldes sollte begleitet werden von einer Schaffung zusätzlicher Jobs in sozialökonomischen Unternehmen, bei Umweltinitiativen, im Sozialbereich verbunden mit Qualifikationsmaßnahmen, um insbesondere Langzeitarbeitslosen den Übergang zu Beschäftigung zu erleichtern.“ (Mag. Dr. Stephan Schulmeister, Wirtschaftsforscher und Universitätslektor)
„Eine Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes von 70% würde zehntausende Menschen vor Armut bewahren, für hunderttausende den Lebensstandard sichern und durch höhere Konsumausgaben nebenbei 6.000-10.000 Jobs schaffen.“ (Markus Marterbauer, Chefökonom Arbeiterkammer)
„Unsere Gesellschaft muss sich ändern. Es geht nicht, dass wir weiter unseren Reichtum vermehren auf Kosten des Klimas und der weltweiten Ausrottung von Tieren und Pflanzen.
Diese Verantwortung für die Zukunft der Erde, für die Natur und andere Menschen, wird nur mittragen, wer an sich selbst erlebt, dass es Respekt und gesellschaftliche Mitverantwortung für seine/ihre Existenzsicherung und Zukunft gibt. Menschen müssen daher die Wahl haben, Arbeitsplätze, für die sie sich ungeeignet fühlen, große Entfernungen in Kauf nehmen müssten oder eine allzu geringe Bezahlung, abzulehnen. Sie müssen auch in der Arbeitslosigkeit frei sein können von elementarer Existenzbedrohung. Hier lohnt sich Großzügigkeit: sie stiftet Sicherheit statt häuslicher Gewalt, Trunksucht und Fremdenhass, und stärkt die Basis einer gemeinsamen Vorsorge für eine gelingende Zukunft.“ (Em.Univ.Prof. Marina Fischer-Kowalski, Institut für Soziale Ökologie, Universität für Bodenkultur, Wien)
„Erwerbslose haben in der Krise mehr verloren und waren härter von Lockdown-Maßnahmen betroffen als reiche Bevölkerungsgruppen. Vermögende haben in der Krise sogar dazugewonnen. Daher wäre eine Kompensation gerecht. Österreich sollte auf keinen Fall die Fehler der deutschen Hartz-IV-Gesetzgebung wiederholen, von der sich selbst ehemalige Befürworter:innen abwenden. Hartz IV hat nicht zu einer besseren Vermittlung von Erwerbslosen geführt. Stattdessen ist der prekäre Sektor expandiert, die Armut hat sich verfestigt. Ein Fünftel der deutschen Kinder sind armutsgefährdet. Hartz-IV und die damit verbundene Angst vor einem Absturz in die Armut haben stark zur gesellschaftlichen Spaltung beigetragen. Dabei kommt eine Unterstützung von schlecht bezahlten Menschen der Mehrheit zu Gute. Sie geben das Geld aus und kurbeln den Kreislauf an. Gerade angesichts der ökologischen Krise ist es angebracht, eine verbindende Politik umzusetzen, anstatt nach altem Muster Menschen zu drangsalieren und alle Ressourcen nach oben zu verteilen.“ (PD Dr. Silke Ötsch, Vertretungsprofessorin für Soziologie an der Universität Hamburg und Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI))
„Das Arbeitslosengeld in Österreich muss armutsfest gemacht werden. Ein höheres Arbeitslosengeld würde nicht nur den Betroffenen helfen, sondern auch zu mehr Konsum führen und somit die Wirtschaft beleben. Letztendlich wäre es ein gesamtgesellschaftlicher Fortschritt, zu dem
wir den Mut haben sollten.“ (Dennis Tamesberger, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler)
Für Rückfragen:
Irina Vana, 0680 4402085
Boris Lechthaler, 0664 7607937