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Aufnahme des Vortrags von Roland Atzmüller zur Reform des Arbeitslosenversicherung

Darum unterstützen wir das Volksbegehren: Statement der Plattform für Kultur und Menschlichkeit Freistadt

Es gibt viele Gründe, warum jemand seine Arbeit verliert. Er / Sie muss jetzt mit 55 % seines ursprünglichen Gehalts auskommen. Nach längerer Arbeitslosigkeit soll sich dieser Betrag noch weiter verringern. Mit diesem degressiven Modell und zusätzlichen Verschärfungen wie verringerte Zuverdienstgrenzen und verschärfte Zumutbarkeitsbedingungen erwartet man mehr Bereitschaft, auch wesentlich schlechtere Jobs mit deutlich geringerem Lohn anzunehmen.

Ganz besonders schlimm ist das für Familien und Frauen mit Betreuungspflichten. Arbeitslosigkeit bringt nicht nur wirtschaftliche Probleme, sie bedeutet soziale Diskriminierung und bringt sehr oft auch familiäre Probleme.

Eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes kann zumindest die finanzielle Situation für die Betroffenen verbessern. Für viele führt das geplante degressive Modell der Arbeitslosenunterstützung in die Armut, auch Kinderarmut.

Hans Käferböck, für die Plattform für Kultur und Menschlichkeit Freistadt

Beitrag von Daniela Brodesser bei der Pressekonferenz am 12.1.2022

Daniela Brodesser. Kolumnistin

Warum es jetzt und dauerhaft ein existenzsichernde Arbeitslosengeld brauchen!

Mein Name ist Daniela Brodesser, ich bin Mutter von vier Kindern und nach zwei schweren Erkrankungen sind wir von einer Durchschnittsfamilie mit Urlauben, Ausflügen usw. in massive Armut geraten.

Aus diesem Grund engagiere mich aus eigener, jahrelanger Erfahrung gegen Beschämung, Stigmatisierung und für ein existenzsicherndes Leben von Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in Armut geraten sind. Wir waren sogenannte Working poor, vor allem aus dem Grund weil wir nicht erwerbslos werden wollten. Die Angst davor hat uns in unsichere Jobs gebracht und waren der Beginn der Armutsspirale. Ein existenzsicherndes ALG hätte uns etliche Jahre, Kämpfe ums finanzielle Überleben sowie die Folgen erspart.

Was bewirkt ein nicht existenzsicherndes ALG?

Folge eines nicht existenzsichernden Arbeitslosengeldes sind Existenzängste. Ein nicht existenzsicherndes Arbeitslosengeld – und noch mehr das angedachte – degressive Arbeitslosengeld wirkt wie eine Bestrafung. Es wird impliziert, selbst schuld zu sein an der Arbeitslosigkeit. Und nur du bist selbst schuld, nicht das System, nicht die fehlende Vereinbarkeit, nicht die Tatsache dass 50+  nur schwer Chancen am Jobmarkt haben. Nein, du bist zu wenig bemüht! Keinen Job zu finden, signalisiert es wäre das eigene Versagen, Perspektivenlosigkeit, Unsicherheit, und  die regelmäßige Konfrontation mit Stigmatisierung treiben viele in die Resignation.

Ziel dieser Regierung ist es, laut Regierungsprogramm, die Armut zu halbieren. Von diesem Ziel bewegen wir uns mit einem niedrigen oder gar degressiven ALG weit weg:

Erwerbslose werden gezwungen sein mit Sozialhilfe aufzustocken, was die Beschämung noch mehr steigert. 2019 gab es übrigens über 60.000 Nichtbezieher*innen bei der Sozialhilfe, sei diese aus Unwissen, Scham oder Angst nicht nutzten.

Wir wirkt sich ein nicht existenzsicherndes Arbeitslosengeld auf die Zukunft der Betroffenen aus?

 Existenzangst, Unsicherheit, Perspektivenlosigkeit und Beschämung führen zu

*einem Rückzug, soziale Kontakte werde weniger, die Teilhabe wird eingeschränkt

*ständiger Belastung (Angst vor unerwarteten Kosten, Scham, sagen zu müssen das selbst die geringsten Dinge nicht mehr leistbar sind)

*Schlaflosigkeit, Dauerstress bis hin zu Herz-Rhytmuns-Störungen (bei mir war es ein erhöhter Adrenalinspiegel, der mich bis heute begleitet und bewirkt, den ganzen Tag 120% geben zu wollen und mir keine Ruhe zu gönnen – dürfen wir nicht, sonst hat man das Gefühl sich zu wenig zu bemühen)

Man gibt auf! Irgendwann verliert man die Hoffnung auf Besserung der Situation und findet sich damit ab. Bedeutet auch keine Zukunftsträume mehr, nichts zum Festhalten, ein tägliches Aneinanderreihen von reinem Funktionieren.

Wie muss man sich das vorstellen, die Spirale in die Armut?

Zu Beginn habe ich selbst noch gedacht es wäre nur vorübergehend, es muss doch bald wieder bergauf gehen. Irgendwann war der Zeitpunkt da an dem ich realisiert habe, dass wir die Autoreparatur nicht bezahlen konnten. Mein Mann hat das Auto aber dringend benötigt um seinen Job nicht zu verlieren.  Nach und nach wurde es zum Problem Ausflüge für die Schule zu stemmen oder von einem Tag auf den anderen neue Winterschuhe zu kaufen weil die eines Kindes kaputt waren. Heute laufe ich ins nächste Schuhgeschäft in der Umgebung und besorgen welche, damals war ich auf Second Hand angewiesen, was es aber in der gesamten Umgebung nicht gab. Also nur als Beispiel was es bedeutet nicht mal 20 Euro auf die Schnelle ausgeben zu können.

Jetzt hatten wir beide einen Job und mussten trotzdem viele Beschämungen über uns ergehen lassen (selbst schuld, alle anderen finden auch was Besseres, ihr wollt doch nur nicht…). Und nun stellt euch vor wie es Erwerbslosen in solchen Situationen, vor allem wenn es länger andauert, ergeht. Uns hat diese Zeit jegliche Kraft gekostet, meinem Mann ein zweites Burnout eingebracht, und bei mir meinen Adrenalinspiegel erhöht, so dass ich nie zur Ruhe kommen konnte oder Entspannen. All das hat Auswirkungen bis heute. Es macht krank und verhindert so bei vielen, dass sie überhaupt dann noch erwerbsfähig sind.

Von der Ausgrenzung, die man selbst, die aber auch die Kinder miterleben müssen, wenn die einfachsten Dinge wie ein Kinobesuch nicht mehr leistbar sind, könnte ich jetzt stundenlang reden, und es wäre mir so wichtig dass bei der ganzen Debatte um die Ausgestaltung der Arbeitslosenversicheerung dieser Faktor endlich flächendeckend aufgegriffen wird. Denn die Langzeitfolgen davon sind nicht nur für die Erwachsenen schlimm, sondern vor allem auch für deren Kindern und werden bis jetzt noch größtenteils ignoriert.

Dazu kommen die Stigmatisierungen von allen Seiten. Aussagen wie

*die Fleißigen, die immer aufstehen um arbeiten zu gehen sollen andeuten, Erwerbslose würden sich auf Kosten des Staates ausschlafen

*die soziale Hängematte

*der Vollkaskostaat – zielen bewusst darauf ab, Betroffene zu stigmatisieren, sie mit Vorurteilen zu überhäufen und sie somit unglaubwürdig zu machen, wenn sie gegen die strukturellen Ursachen aufstehen wollen.

Wer sich mit der Thematik beschäftigt weiß, dass Erwerbslosigkeit nichts mit Faulheit oder zu wenig bemühen zu tun hat sondern mit fehlender Vereinbarkeit, mangelnden Chancen aufgrund des Alters und vielen anderen im System angelegten Gründen. Das Argument, Erwerbslose bräuchten Anreize sonst würden sie das System ausnutzen, stimmt so absolut nicht, denn wie wir alle wissen, gibt es längst Sanktionen.

Warum ist es also so wichtig das ALG auf 70% zu erhöhen?

Weil Existenzangst und Unsicherheit sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit gefährden, man weiß dass es im Schnitt 18 Monate dauert vom Jobverlust bis in die Armut. Die Belastungen die neben dem Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, auf Menschen lasten verursachen allzu oft Erkrankungen. Wer nach außen wirkt als würde man keine Lösungen suchen wollen hat in den meisten Fällen so viel Druck und Unsicherheit erlebt, dass irgendwann die Resignation eingesetzt hat. Das gilt es zu vermeiden. Und das funktioniert nur mit Existenzsicherung sowie einem Ende der Stigmatisierungen.

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Kirchenzeitung 7.10.2021
Emmerich Tálos über das Volksbegehren „Arbeitslosengeld rauf“
„Davon kann niemand leben

Emmerich Tálos
Gesellschaft & Soziales

Zum Bild: Emmerich Tálos studierte Katholische Theologie, Geschichte und
Politikwissenschaft. Letzteres lehrte er ab 1983 an der Universität Wien, seit Oktober 2009 ist
er offiziell im Ruhestand. Seiner Feder entstammen zahlreiche Werke über
Sozialpartnerschaft, Sozialstaat, politische Entwicklung im 20. Jahrhundert und
Austrofaschismus.


Der Politikwissenschafter Emmerich Tálos ist Mit-Initiator des Volksbegehrens „Arbeitslosengeld rauf“. Zuletzt sprach er beim 152. Sozial-Stammtisch des Treffpunkts mensch&arbeit über einen menschenwürdigen Arbeitsmarkt.

Ausgabe: 40/2021
05.10.2021 – Lisa-Maria Langhofer
Warum dafür eine Anhebung des Arbeitslosengeldes notwendig ist, erzählte er der
KirchenZeitung.

Herr Tálos, Teile der Politik und der Bevölkerung finden offenbar, Österreich zahle genug Arbeitslosengeld. – Warum soll es erhöht werden?


Emmerich Tálos: Wir haben ein sehr gut ausgebautes sozialstaatliches Sicherungssystem, das Schutz und Teilhabechancen für größte Teile der Bevölkerung gewährleistet. Weniger gut aufgestellt ist die Arbeitslosenversicherung. Das Leistungsniveau bemisst sich nach der
Nettoersatzrate des Einkommens. Diese liegt jetzt bei 55 Prozent. Damit sind viele Menschen in keiner Weise vor Verarmung geschützt. Eine Anhebung sichert die Existenzgrundlage und verbessert die Teilhabechancen der Betroffenen. Die Veränderungen, die seitens
Unternehmervertretungen und Teilen der Regierung gerade angestrebt werden, gehen in die falsche Richtung.

Sie sprechen vom degressiven Arbeitslosengeld?

Tálos: Genau. Seitens der ÖVP, des Wirtschaftsbundes, der Wirtschaftskammer, des Arbeitsministers und mittlerweile auch des AMS-Vorstands wird die Umsetzung des sogenannten degressiven Modells angestrebt. Das würde bedeuten, dass die Nettoersatzrate
für kurze Zeit angehoben wird auf 70 Prozent, um in der Folgezeit immer mehr zu sinken, bis letztlich auf 40 Prozent. Ein solches degressives Modell benachteiligt daher vor allem Langzeitarbeitslose enorm und treibt sie in die Armut. Das wäre eine Entwicklung, die dem Grundgedanken des österreichischen Sozialstaates, nämlich der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, im höchsten Maße widerspricht.

Ein hohes Arbeitslosengeld führt dazu, dass Menschen nicht mehr arbeiten gehen wollen – dieses Vorurteil hält sich hartnäckig, obwohl ein OECD-Vergleich verschiedener Länder zeigt, dass hier offenbar kein Zusammenhang besteht.

Tálos: Dass diese Annahme in der Bevölkerung verbreitet ist, ist nicht neu. In den 1980er- Jahren, als die Arbeitslosigkeit in Österreich stark gestiegen ist, gab es massive Angriffe auf Arbeitslose und die Höhe des Arbeitslosengeldes. Den Betroffenen wurde unterstellt, dass sie freiwillig arbeitslos sind. Als ob Menschen, die über sonst nichts verfügen außer ihrer Arbeitskraft, sich aussuchen könnten, ob sie jetzt arbeiten wollen oder nicht. Das ist genauso eine Fehlinterpretation wie die Annahme, die Leute hätten durch ein degressives Arbeitslosengeld einen höheren Arbeitsanreiz. Das wäre kein Anreiz, das ist massiver Druck.


Ein kurzer Schwenk zu Corona. Die Politik hat große Hilfspakete geschnürt, damit etwa Unternehmen überleben können. Arbeitslose haben im Vergleich dazu Einmalzahlungen bekommen. Eine ausreichende Maßnahme?


Tálos: Das ist besser, als wenn es nichts gegeben hätte. Aber es reicht nicht. Diese Einmalzahlungen sind so bescheiden gewesen, dass damit die materiellen Probleme für viele Menschen in keiner Weise gelöst sind. Selbst wenn ein geringes Arbeitslosengeld mit der „Sozialhilfe Neu“ aufgestockt würde, läge das Einkommen immer noch unter den 1328 Euro, die die EU als Armutsschwelle für Österreich berechnet. Denn der Richtsatz der Sozialhilfe Neu 2021 für Alleinlebende beträgt 949 Euro.


Auch das Volksbegehren zur Einführung eines Grundeinkommens sucht derzeit nach Unterstützer/innen. Wie stehen Sie dazu?


Tálos: Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eine interessante gesellschaftspolitische Option. Allerdings halte ich die Umsetzung auf lange Sicht für vollkommen ausgeschlossen, weil wir in einer Gesellschaft leben, die nach kapitalistischen Prinzipien organisiert ist. Das
heißt u. a., dass das materielle Überleben an die Einbindung in den Arbeitsmarkt gebunden ist, unsere Gesellschaftsstruktur müsste demnach komplett umgepolt werden. Arbeitslosen des Jahres 2021 nützt es aber nichts, wenn in einigen Jahrzehnten ein Grundeinkommen eingeführt würde. Sie brauchen die Unterstützung heute.


Was ist Ihr Appell an die Politik?


Tálos: Mehr als 70 Prozent der Arbeitslosen sind massiv von Verarmung bedroht. Deswegen ist die Politik heute gefordert, den betroffenen Menschen entsprechende Unterstützung zu gewährleisten. Eines der Instrumente ist das Arbeitslosengeld, das erhöht werden muss. Was